In Kooperation mit der Hilfsgemeinschaft für Blinde und Sehschwache in Österreich bietet die ALBERTINA seit März 2021 einmal im Monat Führungen an, in denen das Sehvermögen keine Rolle mehr spielt. Dabei laden Kunstvermittler:innen zum Kunstgespräch über Zoom ein und bringen den Teilnehmer:innen die Meisterwerke der ALBERTINA mit Hilfe von Sprache näher. Denn Bilder entstehen eben auch im Kopf.
Wer die Möglichkeit hat, vor einem Original zu stehen, begegnet nicht einfach nur einem Bild, sondern wird von seiner Aura eingenommen, wie es Walter Benjamin formulierte. Wir tauchen ein in eine Landschaft, treffen Persönlichkeiten, reisen in eine andere Zeit oder lassen uns von Farben überwältigen. Diese Energie gilt es auch in den barrierefreien Führungen zu vermitteln und bedarf daher einer anderen Vorbereitung als zu einer “traditionellen” Führung.
Das besprochene Werk bzw. die Werke sind vom räumlichen und chronologischen Ausstellungskonzept losgelöst und bieten somit die Chance, sich in eine Welt einzulassen, in der die Aktivierung aller Sinne im Mittelpunkt steht. Was war das für eine Zeit? Wie hat der Künstler oder die Künstlerin gelebt? Welche Stimmung überträgt das Werk? Da darf auch die eine oder andere Frage mal offen bleiben. Wichtig ist, dass ganz bewusst zum Gespräch eingeladen wird und den Teilnehmer:innen immer wieder Zeit gegeben wird, ihre Fragen zu stellen und sich auszutauschen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich kraft der Vorstellung ihr eigenes Bild vom Bild zu machen.
Tabuthemen oder -worte gibt es dabei keine. Ganz im Gegenteil, die Devise lautet, gelassen zu bleiben. Wie erklärt man Farben, Formate, abstrakte oder gegenständliche Darstellungsweisen so, dass diese ohne visuellen Zwischenschritt zur Erkenntnis und zur inneren Wahrnehmung, zur individuellen Vorstellung führen, die sich den anderen Vorstellungen von diesem Werk möglichst so ähneln, dass ein gemeinsamer Diskurs möglich wird?
Sind bei Führungen für Sehschwache und Blinde, die vor Ort in der Ausstellung stattfinden, Objekte zum Angreifen und Betasten das viel gepriesene und erprobte Vermittlungstool – so sind es in den Zoom Führungen die Stimme und die Sprache. Den Kunstvermittler:innen eröffnet sich die Möglichkeit, Stimme und Sprache kreativ in all ihren Möglichkeiten auszuloten. Dieser Reflexionsprozess über das Potential von Stimme und Sprache machen Führungsformate für Blinde und Sehschwache so kostbar und wertvoll. Denn aus den Erfahrungen profitiert nicht nur diese eine Zielgruppe, sondern alle anderen, insbesondere auch: die Vermittler:innen.
In der Albertina zählen die Führungen für Sehschwache und Blinde zu den beliebtesten Formaten, sowohl seitens der Kund:innen, als auch seitens der Vermittler:innen. Das Bemerkenswerte daran ist, dass das Format nicht ausschließlich Blinde oder Sehschwache anspricht – auch sehende Kund:nnen gehören bereits zu den Stammkund:innen der monatlich stattfindenden Termine. Denn auch sie schätzen den alternativen Zugang zur Kunst. Dieses Format richtet sich also an beide Zielgruppen, die bei physischen Präsenzführungen meistens nur von einer einzigen genützt werden.
Vermittler:innen haben in dem Format der Albertina freie Wahl, wie sie das Potential von Stimme und Sprache nützen: Das kann eine Zeitreise in die Renaissance sein, Claude Monet in seinem Garten in Giverny zu besuchen oder aber in die Rolle einer Frau mit kreativen Ambitionen am Bauhaus zu schlüpfen. Vielfalt gibt es nicht nur in der Kunst, sondern auch in ihrem Publikum und genau das, macht sie so einzigartig.
Nächster Termin: Dienstag, 29. Juni | 17.30 Uhr (MEZ, UTC/GMT +1)
Pablo Picasso! Malerei aus Leidenschaft, Friederike Zapf
Anmeldung zum Zoom Talk bis 25.6. per Email an f.lassy-beelitz@albertina.at
Betreff: Picasso